AfD: Vorboten einer neuen Barbarei

Carl Schmitt: Einheit durch Ausgrenzung

Die systematische Ausgrenzung von Minderheiten, wie die AfD sie anstrebt, wenn sie die Parole ausgibt, der „Islam“ gehöre nicht nach Deutschland und in Wirklichkeit die Muslime meint, ist eine Begleiterscheinung des im 19. Jahrhundert aufkommenden Nationalismus. Das deutsche Nationalgefühl ist nicht aus der Zugehörigkeit zu einem Zentralstaat und der Loyalität zu einem Herrscherhaus erwachsen, wie das französische und das englische, sondern entstand als Narrativ eines idealen Mittelalters. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, das bis 1806 dauerte, bestand aus kleineren und größeren Fürstentümern, wo auch eine intellektuelle Elite ihr Auskommen fand, als Gelehrte, Schriftsteller, Pfarrer, Hofmeister, die philosophische und literarische Trendsetter waren. Politik war ihre Sache nicht. Ihre Welt war, sieht man von der Neigung der Fürsten zu übertriebener Autokratie ab, so ausgewogen, dass sie die Französische Revolution keineswegs als den großen Befreiungsschlag empfanden. Den Truppen Napoleons hatten die zersplitterten deutschen Staaten mangels Einheit keinen nationalen Verteidigungswillen entgegenzusetzen. Die ohnmächtigen Intellektuellen begannen darüber nachzudenken, was das Alleinstellungsmerkmal der „deutschen Nation“ im zerfallenden Römischen Reich eigentlich war. Sie mussten weit, weit zurückgehen, bis ins Mittelalter, dessen mauerbewehrte Städte mit ihren Fachwerkhäusern und gotischen Domen ihnen authentisch deutsch erschienen, dessen Ständeordnung sich in pittoreske Volksszenen fassen ließ und dessen mündliche Überlieferung sie zu eifrigen Sammlern und Nachahmern von Volkslied und Märchen machte. Diese Epoche wurde „Romantik“ genannt, weil das Rezept für Literatur und Leben lautete, die Wirklichkeit so zu betrachten, als sei sie ein Roman.

Das prekäre Nationalgefühl der Deutschen

Wenn die Bedrohung anonym bleibt, was immer dann der Fall ist, wenn das Vertraute von etwas unberechenbar Neuem verdrängt wird, verbindet sich der Rückzug in eine imaginierte Schutzzone zwangsläufig mit Verschwörungsphantasien. Die Romantik erklärte den Wald zum Zufluchtsort deutschen Wesens und produzierte von hier aus glühenden Fremdenhass, der sich gegen den äußeren „Erzfeind“, die Franzosen, und nach innen gegen die Juden richtete, deren Emanzipation Bestandteil der napoleonischen Gesetzgebung war. Ernst Moritz Arndt, der 1813 in einem Kirchenlied „des Deutschen Vaterland“ als den Ort lokalisierte, „wo jeder Franzmann heißet Feind“,1 war außerdem ein fanatischer Antisemit: „Die Juden als Juden passen nicht in diese Welt und in diese Staaten hinein, und darum will ich nicht, dass sie auf eine ungebührliche Weise in Deutschland vermehrt werden“.2

In der Völkerschlacht bei Leipzig kämpften nicht „die Deutschen“, sondern die Preußen mit ihren Alliierten gegen Napoleon. Das preußisch gefärbte Nationalgefühl wurde den deutschen Ländern als eine Meta-Zugehörigkeit übergestülpt, um der Reichsgründung durch die preußische Hegemonialmacht den Stachel zu nehmen. Es bedurfte einer Formel, auf die sich die Stämme trotz aller Verschiedenheit einigen konnten, denn es wurden ihnen erhebliche Opfer abverlangt. Mancher Bayer, Schwabe, Hesse, Sachse hatte ein Problem damit, dass sein „Vaterland“, für das zu sterben er bereit sein sollte, so preußisch daherkam. In die Bresche sprang der „alldeutsche“ Nationalismus, die rassistische völkische Bewegung, die später dem Nationalsozialismus das Vokabular lieferte. Das „deutsche Volk“ in seiner Vielfalt wurde enthistorisiert und auf die Angehörigen einer mythologisch und biologisch definierten Rasse verengt. Als nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg Schuldige gesucht wurden, geriet eine deutsche Minderheit in den Focus: die Juden. Sie machten weniger als 1 Prozent der Bevölkerung aus, waren auf Grund der preußischen Gesetzgebung (trotz Einschränkung des Zugangs zu bestimmten Berufen) gleichberechtigte Staatsbürger und hatten sich fast vollständig assimiliert. Ihre Ausgrenzung und Diskriminierung war das Mittel, mit dem Hitler langfristig erreichte, dass die verunsicherten Deutschen das Angebot der Selbstfindung in einer deutschen „Homogenität“ annahmen, die durch die Eliminierung der „heterogenen“ Teile der Bevölkerung Geschlossenheit suggerierte. „Homogenität“ und „Heterogenität“ sind Begriffe aus der Schrift „Die geistesgeschichtliche Lage des gegenwärtigen Parlamentarismus“ (1926) des Staatsrechtlers Carl Schmitt, der angesichts der Kinderkrankheiten der frühen Weimarer Republik, als die Parteien das Aushandeln und Kompromissemachen erst lernen mussten, behauptete, der Parlamentarismus könne nicht funktionieren, weil er zu heterogen sei und keine Einheit herzustellen vermöge. Er stellte die Vorstellung in den Raum, dass Demokratie nur funktioniere, wenn Regierende und Regierte sich zu einem homogenen Volkskörper vereinigten, der in symbiotischer Willensverschmelzung widerspruchsfreie Politik erzeuge. Mit seinem Rezept, das „Heterogene“, die „Fremden“, die „Anderen“, zu eliminieren, damit die Deutschen unter sich sind, goss Schmitt Wasser auf die Mühlen des nationalsozialistischen Antisemitismus. Hitler und Goebbels waren Meister der hysterisierenden Intonation einer Formel, die von den Massen nachgebrüllt wurde und alle Hemmungen wegschwemmte: „Deutschland!“

Ein halbes Jahrhundert lang belastete die Hypothek des Holocaust das deutsche Nationalgefühl, zumal es zwei deutsche Staaten gab. Inzwischen kommen wir, jedenfalls die Mehrheit von uns, mit unserer demokratischen Bundesrepublik Deutschland zurecht. Für Fußballfans ist „…Schland!“ ein Anfeuerungsruf. Wer die Nationalhymne mitsingt, tut es nicht ohne Feierlichkeit. Doch nun taucht das hysterisierende „Deutschland!“, das bislang auf Neonazi-Zirkel beschränkt war, wieder in aller Öffentlichkeit auf. Die Populisten der AfD üben sich ganz ungeniert in der Nachfolge jener Agitatoren, die Deutschland in den Abgrund geführt haben, aus dem es sich gewissenhaft herausgearbeitet hat, um wieder in die Weltgemeinschaft aufgenommen zu werden. Die neuen Volkstribune wollen uns freilich glauben machen, dass dieser Weg aus der Isolation der falsche war, dass wir vielmehr schleunigst in unsere alten institutionellen und vor allem geistigen Grenzen zurückkehren sollten, weil andernfalls Identitätsverlust drohe. „Deutschland war die Heimat unserer Vorfahren. Deutschland muss als Heimat unserer Kinder erhalten bleiben. Deutschland ist unsere Heimat – unser Land – und unsere Nation!“ deklamierte in Erfurt Björn Höcke. Mit bebender Stimme und zuckenden Mundwinkeln bekannte er: „Ich liebe mein Volk!“ Welches Volk? Ultrarechte, Neonazis, Identitäre, Pegida, Legida? Die Deutschlandfahne, die auf Demonstrationen der AfD gelegentlich geschwenkt wird, scheint den Grundkonsens mit der Verfassung anzuzeigen, doch das ist purer Hohn. Was man davon zu halten hat, zeigte der Vorfall in der Talkrunde von Günter Jauch am 18. Oktober 2015 : Das Hoheitszeichen der Bundesrepublik, aus der Innentasche des Jacketts gezupft wie ein erotischer Fetisch, diente Höcke während des Rests der Sendung als Ärmelschoner.

Hysterisierung als populistisches Mittel

Die Schlüsselbegriffe der Demokratie werden von ihren Propagandisten als „Wieselwörter“,3 die ihrer ursprünglichen Bedeutung entleert worden sind, in den Diskurs eingeschleust, wo sie Übereinstimmung vortäuschen sollen, damit die subversive Absicht verborgen bleibt. ‚„Wir sind das Volk“ meinte zuerst den Aufstand gegen die Diktatur, dann zielte „wir sind ein Volk“ auf die nationale Einheit. Jetzt treten gewisse Bürger mit dieser Parole, die inzwischen völkisch, fremdenfeindlich, rassistisch unterlegt ist, gegen den Staat an, weil sie eine andere Idee von ihm haben. Geschichte wiederholt sich nicht; Parallelen hingegen gibt es. Wie nach der Französischen Revolution, wie nach 1918 stehen uns Veränderungen bevor, die unberechenbare Selbstläufer zu sein scheinen. Die Unsicherheit ist groß, das Vertrauen in die politischen Institutionen schwindet. Während die strukturierten Systeme nach vernünftigen Lösungen suchen, zu denen auch der Zusammenschluss zu einem Staatenverbund zählt, wuchern in den weniger luziden Winkeln der Gesellschaft die Verschwörungstheorien. Sie sind gepaart mit Fremdenhass und der Suche nach Volksfeinden, die man für die veränderte Welt haftbar machen will. Diese Stimmung ruft politische Hasardeure und Demagogen auf den Plan, die sie für ihre eigenen Zwecke zu benutzen versuchen.

Wenn Gauland und Höcke parallel auf zwei Kundgebungen in Erfurt und in Magdeburg (18. November 2015) fünf „Grundsätze für Deutschland“ verkünden, als handle es sich bei der Bundesrepublik mit ihren über 80 Millionen (plus einer Million geflüchteter) Einwohnern, ihrer Wirtschaftsmacht, ihrer sorgfältig gehüteten Rechtssicherheit, ihrem politischen Gewicht in und außerhalb von Europa um ein zum Ausverkauf stehendes, manipuliertes, fremdbestimmtes Land, dann kann man dem beurlaubten Gymnasiallehrer und dem pensionierten Zeitungsverleger unterstellen, dass sie genau wissen, was sie tun: lügen. Da sie keine Argumente haben, mit denen man sich auseinandersetzen könnte, behelfen sie sich mit der stereotypen Diffamierung der Bundesrepublik als „Unrechtsstaat“, dem sie unterstellen, dass „eine kleine, machtvolle politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien“, ein „politisches Kartell“, [… ] die Schalthebel der staatlichen Macht, soweit diese nicht an die EU übertragen worden ist, die gesamte politische Bildung und große Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Informationen in Händen hat“.

Die gewiss nicht fehlerlose, aber stabile repräsentative Demokratie, die sich in praktischer Vernunft üben muss, weil ihre Wähler die Macht haben, sich ihrer zu entledigen, ist den an die Affekte appellierenden Populisten offenbar ein Dorn im Auge, weil sie nicht wirklich zu erschüttern ist. Die Demagogen greifen zum Mittel der Hysterisierung, jenem populistischen Verfahren, nicht vorhandene Gefühle durch deren übertriebene Darstellung zu ersetzen, in der Hoffnung, dass der Wahn auf die Massen überspringt und sie an die Macht trägt. „Deutschland!“ als Jammer-Refrain. „Ich liebe mein Volk!“ als sentimentaler Seufzer. Was für ein Schmierentheater! Auch die Weimarer Republik ist von ihren Gegnern schlecht geredet worden, doch war sie verwundbarer als die Bundesrepublik es ist. Unsere Medien ‒ Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen – hinterfragen fast unisono die Propaganda der AfD und widerlegen, immer und immer wieder von vorn, jede einzelne falsche Behauptung. Daher die rasende Wut auf die „Lügenpresse“, die eben nichts anderes tut, als die Lügen der Volksaufwiegler von AfD, Neonazis, Pegida, Legida, aufzudecken. Der größte Feind der Lüge ist die Wahrheit.

Die AfD will seriös erscheinen und hat für die Bundestagswahlen einen Leitantrag verfasst, der den erträumten Koalitionsverhandlungen als Grundlage dienen soll. Sie will nicht etwa nur die Regierung ablösen, um eigene politische Vorstellungen durchzusetzen. Sie will das System ändern. An die Stelle der repräsentativen Demokratie soll eine direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild treten. Über Gesetze, selbst Verfassungsänderungen, sollen Volksabstimmungen entscheiden. Das setzt wiederum eine Grundgesetzänderung voraus, die kaum auf legalem Weg zustande käme. Der Politologe Claus Leggewie sieht in diesem Anspruch der AfD „die Rückkehr einer faschistischen Potenz“, denn „sie treten an im Modus des radikalen Widerstands gegen die politische Klasse und die in liberalen Demokratien üblichen Aushandlungs- und Kompromissprozeduren […] In diesem Milieu wird allen Ernstes Artikel 20 (4) des Grundgesetzes ins Gespräch gebracht, der das Widerstandsrecht gegen eine illegale Regierung erlaubt“. 4 Das ist gewiss der kühnste aller Träume der Frauke Petry: Mehrheiten zu gewinnen, mit denen die AfD interessant für Regierungskoalitionen würde, die dann nichts Eiligeres zu tun hätten, als die Verfassung zu ändern. Die AfD erwartet wohl kaum, dass die etablierten Parteien den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Ihre Theoretiker imaginieren vielmehr eine Implosion der Strukturen, das Zusammenströmen aller Deutschen auf einer Rütli-Wiese des Volkswillens, der in Symbiose mit einer gleichgesinnten Regierung in einem Akt politischer Kommunion den idealen Staat schafft. Natürlich hat das nichts mit Wirklichkeit zu tun. Es ist das Demokratie-Projekt Carl Schmitts, das solche Phantasien nährt.

Eine Vergangenheits-Simulation

Die AfD ist eine Retro-Partei. Sie leugnet die Gerichtetheit historischer Verläufe. Was man vergeblich im Wahlprogramm sucht, ist eine Zukunftsperspektive. Es enthält im Gegenteil eine ausdrückliche Absage an Aufklärung und Fortschritt: „Wir glauben nicht an die Verheißungen politischer Ideologien oder an die Heraufkunft eines besseren, eines ‚Neuen Menschen‘. Eine Geschichtsphilosophie, die von einer Höherentwicklung der individuellen menschlichen Moral ausgeht, halten wir für anmaßend und gefährlich“. An die Stelle einer Vision setzt die Partei eine aus Vergangenheitspartikeln zusammengestückelte Simulation, „Leitkultur“ genannt. Wie sieht das Trugbild aus, das die AfD vor sich her trägt? Das Rezept lautet: Identitätsstiftung durch gemeinsame Kulturpflege, wobei man unwillkürlich an einen Chor denkt, der deutsches Liedgut schmettert. Benannt werden kurioserweise – richtig gut kennen sich die Leitsatz-Autoren in der Geschichte offenbar nicht aus ‒ als Grundlagen einer „deutschen Leitkultur“ multikulturelle europäische Phänomene wie a) das im Vorderen Orient entstandene Christentum, b) die aus antiken (griechisch-römisch-arabischen) Wurzeln erwachsene wissenschaftlich-humanistische Tradition und c) das von Napoleon in Deutschland implantierte römische Recht. Nach dieser treuherzigen Aufzählung angeblicher deutscher Alleinstellungsmerkmale wirkt die Anprangerung einer „Ideologie des Multikulturalismus, die importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und deren Werte damit zutiefst relativiert“, absurd. Den Vorwurf der Geschichtsblindheit kann man guten Gewissens zurückspielen, denn nur eine insuläre Situation bewahrt eine Gesellschaft vor fremden Einflüssen, was aber auch bedeutet, dass sie sich nicht entwickelt.

Wer sind die Leute, die unmittelbaren Nutzen aus der Realisation dieses AfD-Projektes ziehen würden? Ausgehend von den Formulierungen zur Bildungspolitik wird nachvollziehbar, dass sich hier die Nachfahren des kulturell ehemals tonangebenden Bildungsbürgertums zum Gefecht gegen die moderne Welt mit ähnlich blinder Entschlossenheit sammeln, wie sie Cervantes‘ Don Quichote hinderte, die Natur seiner Phantasmen zu erkennen. Eingeschüchtert von Digitalisierung und Globalisierung, den Totengräbern vertrauter bürgerlicher Verkehrsformen, verängstigt angesichts der Vielfalt der Welt, die sich in der Präsenz von Personen mit unterschiedlichen Hautfarben und Lebensweisen äußert, überfordert von der Kontingenz der kulturellen Wahlmöglichkeiten, geniert von der Enttabuisierung des Sexuellen, flüchtet sich der anpassungsunwillige Teil des deutschen Bildungsbürgertums in Nostalgie. Wo und wann ging es ihm am besten? Im Kaiserreich. Im Dritten Reich (mit einer kleinen peinlichen Einschränkung, an die zu erinnern es ihnen nun aber auch reicht: „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst“). In der Adenauerzeit. „Wir wollen Deutschland reformieren und an die Prinzipien und Wurzeln anknüpfen, die erst zu seinem Wirtschaftswunder und dann zu seinem jahrzehntelangen sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg geführt haben“.

Die gute alte Zeit vor 68

Wie das Deutschland, das die AfD heraufbeschwört, aussehen soll, lässt sich aus dem Leitantrag extrapolieren. Es gibt dann zum Beispiel wieder ordentliche Schlagbäume und Zollkontrollen an den Grenzübergängen, die zu überqueren seinerzeit die reinste Freude war, da die starke DM die Deutschen zu Touristenkönigen machten. Zu glauben, mit der DM käme die gute alte Zeit wieder, hat den Realitätsgehalt eines Grimmschen Märchens. Weiter: Alle fremden Truppen, hauptsächlich die Amerikaner, sind verjagt, denn „… 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und 25 Jahre nach der Beendigung der Teilung Europas [steht] die Neuverhandlung des Status alliierter Truppen in Deutschland auf der Tagesordnung“. Wir brauchen sie ja auch gar nicht, da wir dann eine hochgerüstete deutsche Bundeswehr haben werden ‒ die zur Zeit leider „in der ganzen Welt fremden Interessen dient, während die hiergebliebenen Soldaten ihre Kasernen für Asylsuchende räumen und Toiletten in Erstaufnahmeeinrichtungen reparieren“ (O‑Ton Björn Höcke in Erfurt). Dazu muss die Wehrpflicht – nur für Männer – selbstverständlich wieder eingeführt werden, was vor allem Leuten wie Höcke gefallen würde, der in Erfurt klagte: „Wir haben unsere Männlichkeit verloren. Wir müssen unsere Männlichkeit wiederfinden“.

Was die Adenauer-Zeit für die neue Rechte so anziehend macht, könnte die ungebrochene faschistische Anmutung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft sein, die sich dank amerikanischer Hilfe aus den Trümmern relativ schnell herausgearbeitet hat. Trotz der Schockwirkung der Nürnberger Prozesse und den alliierter Erziehungsmaßnahmen hielt sich der in den Strukturen verankerte autoritäre (Un-)Geist noch fast zwei Jahrzehnte lang. Ohne dass eine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen erfolgt wäre, kamen die Römischen Verträge (1957) zustande, die für das europäische Einigungswerk die Grundlage bilden sollten. Diese Wiederaufnahme in die Weltgemeinschaft allein auf Grund wirtschaftlicher Tüchtigkeit konnte sich die nur oberflächlich demokratisierte Nachkriegsgesellschaft zugute halten. Erst mit der Studentenbewegung, die „den Muff von tausend Jahren“ humanistischer Bildungstradition aus den Universitäten vertrieb, und unter den sozialliberalen Landesregierungen begannen die Reformen, die der AfD dramatisch staatsgefährdend erscheinen, obwohl es sich um nichts anderes handelt, als um eine Modernisierung der Gesellschaft entsprechend den Herausforderungen einer veränderten internationalen Lage.

Mit seiner Äußerung, „wir wollen weg von diesem links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland“, die ihm standing ovations eintrug, ließ der Parteivorsitzende Jörg Meuthen in Stuttgart (30.April/1. Mai 2016) die Katze aus dem Sack. Der Altersstruktur, die sich aus der geleakten Teilnehmerliste erschließen lässt, ist zu entnehmen, dass die stärksten Jahrgänge der Mitglieder in den 70er und 80er Jahren zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt waren, in einer Zeit also, als die 68-er in der Tat überaus präsent an Schulen und Universitäten waren, und dass Meuthens Erklärung, seine Aversion gehe auf „linke Lehrer“ und „pure Indoktrination“ zurück, tatsächlich den wunden Punkt in den Seelen seiner jubelnden Zuhörer offenlegte. Rechts oder auch nur konservativ zu sein, einer Burschenschaft, der Bundeswehr oder der Polizei anzugehören, hatte an den Universitäten in jener Zeit oft eine Stigmatisierung zur Folge, bis den 68ern der Marsch durch die Institutionen geglückt war und sie ihre Vision einer gerechten Gesellschaft (nicht ohne Verwerfungen) in die Praxis umsetzen konnten. Der rauschende Beifall für Meuthens 68-er-Schmähung lässt darauf schließen, dass hier eine Retourkutsche gefahren werden soll. Wenn es aber so ist, dann ist es zu spät. Die Geschichte hat den 68-ern Recht gegeben, weil sie den Nazigeist aus Deutschland vertrieben und die verkrusteten Strukturen aufgebrochen haben, so dass es uns Deutschen möglich wurde, den Anschluss an die kulturellen und politischen Standards des Westens wiederzugewinnen; und das ist hoffentlich irreversibel. Dass sie – die in der 68-Hochblüte machtlosen Professoren und Burschenschaftler, Militärs und Polizisten – sich auf der Verliererseite der Geschichte fühl(t)en, erklärt, warum sie sich einer revisionistischen Plattform wie der AfD zugesellen. Sie wollen den Spieß umdrehen.

Bürgerprivileg Bildung

Wes rückständigen Geistes Kind sie sind, geht besonders deutlich aus den Passagen zur Bildungspolitik hervor. Das verschwörerische Geraune von einer „politisch-ideologischen Indoktrination“ meint nicht links oder marxistisch oder sozialistisch oder sozialdemokratisch, es meint das in der Verfassung festgeschriebene Projekt der sozialen Gerechtigkeit, das die größte Ungerechtigkeit des bürgerlich geprägten Staates beseitigen soll: die unterschiedlichen Bildungschancen. Der AfD-Gegenentwurf trägt Züge der Ständeordnung, sogar des Naturrechts. Hier setzt sich der christlich-fundamentalistische Strang in der Partei durch, den Beatrix von Storch vertritt: Ungleichheit ist geburtsabhängig. Bildung wird einem in die Wiege gelegt. „Es ist falsch, Eltern und Jugendlichen einzureden, nur derjenige Bildungsweg sei erfolgreich, der zu einer Hochschule führe. Ein gegliedertes Schulsystem muss die Begabungen und Stärken von Schülern erkennen und fördern“. Folglich will die Partei auch das dreigliedrige Schulsystem erhalten, das die Berufschancen vorsortiert. Bezeichnend ist die Begründung, warum die Inklusion als „ideologisch motiviert“ abgelehnt wird: „Sie verursacht erhebliche Kosten und behindert Schüler in ihrem Lernerfolg“. Verlangt werde von den Schülern „Leistungsbereitschaft und Disziplin“, und das ohne Zimperlichkeit: “Das entsprechende Verhalten der Schüler kann nur durchgesetzt werden, wenn den Lehrern die dazu geeigneten Maßnahmen zur Verfügung stehen und deren Durchsetzung nicht ständig hinterfragt wird“. Verstöße seien „unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten angemessen zu ahnden“. Was ist „angemessen“? In Deutschland wurde erst 1973 die Prügelstrafe in den Schulen abgeschafft (in Bayern sogar erst 1983) und den Eltern erst 2000 generell verboten, ihre Kinder körperlich zu züchtigen. Wie kann man sich in diese Zeiten zurücksehnen?

Die „deutsche Leitkultur“ knüpft an die Zeit an, als das gebildete Bürgertum die kulturelle Elite repräsentierte; das soll in Zukunft wieder der Fall sein, und zwar unter Rückabwicklung aller Reformen der letzten fünfzig Jahre. Maß genommen wird am Humboldtschen Bildungsideal, das vor ziemlich genau 200 Jahren entwickelt wurde. Vorrangig gefördert werden sollen: Das humanistische Gymnasium als privilegierter Zugang zur Akademikerlaufbahn. Der elitäre Status der Universitäten; nur sie sollen das Recht haben, Studenten zu promovieren und zu habilitieren. Auch was die europaweiten Universitätsreformen betrifft, ist eine Totalrevision angesagt. „Das verschulte Studiensystem mit Bachelor- und Masterabschlüssen (Bologna-Prozess) entlässt Hochschulabgänger, deren ungenügende Qualifikation die Arbeitgeber nicht zufriedenstellt. Deshalb fordert die AfD die Rückkehr zu den bewährten Studienabschlüssen Diplom, Magister und Staatsexamen und den entsprechenden Regularien“. Wissenschaft und Forschung werden von der AfD nicht im internationalen Wettbewerb gesehen, der inzwischen ausschließlich zählt, sondern als geschlossener deutscher Tummelplatz; deshalb soll an den Universitäten ausschließlich auf Deutsch gelehrt werden. In völliger Verkennung der voranschreitenden Globalisierung soll das Englische zurückgedrängt werden. „Im Inland tritt die AfD allen Tendenzen strikt entgegen, die deutsche Sprache auf Behörden, in universitären Studiengängen und in der Binnenkommunikation von Firmen im Sinne einer falsch verstandenen ‚Internationalisierung‘ durch das Englische zu ersetzen oder zu ‚gendern’.

Zurück an den Herd

Am konsequentesten würde, hätte die AfD die Politik zu bestimmen, das Rad der Geschichte für die Frauen zurückgedreht. Was sie an gesetzlicher und sozialer Gleichstellung erstritten haben, wäre Makulatur. In diesem Punkt dockt die AfD ganz unverhohlen an das völkische (und übrigens auch an das islamische) Weltbild an, das postuliert, der Unterschied zwischen Mann und Frau ergebe sich aus ihren unterschiedlichen Aufgaben. In der Familienpolitik ist der Leitgedanke der rassistischen Arterhaltung am deutlichsten erkennbar: Frauen sind demnach auf der Welt, um ihr Volk zu vermehren – besonders jetzt, angesichts des Geburtenrückgangs und der Zuwanderung aus Gesellschaften, in denen die Familie noch einen hohen Stellenwert hat. „Den demografischen Fehlentwicklungen in Deutschland muss entgegengewirkt werden. Die volkswirtschaftlich nicht tragfähige und konfliktträchtige Masseneinwanderung ist dafür kein geeignetes Mittel“ . An erster Stelle müsse die Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung durch entsprechende Maßnahmen erhöht werden. Dazu gehörten u.a. eine „Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“, die Abtreibung erheblich erschwert, weiter die Abschaffung von Einrichtungen „wie Krippen, Ganztagsschulen, Jugendämter und Familiengerichte“, die „zu sehr in das Erziehungsrecht der Eltern eingreifen“. Ein „falsch verstandener Feminismus“ schätze einseitig berufstätige Frauen, nicht aber „Frauen, die ’nur‘ Mutter und Hausfrau sind.“ (Das Drei-Kinder-Modell wird von Petry und Höcke vermutlich auf Grund einer Vermehrungs-Hochrechnung vertreten).

Horrorvisionen scheint der Begriff „Gender Mainstreaming“, verstanden als „Stigmatisierung der Geschlechterrollen“, hervorzurufen. Seit 1999 (Amsterdamer Vertrag) ist es in Europa ein gesetzlich verankertes Ziel, die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern bei allen politischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Die AfD sieht darin einen „ideologischen“ Anschlag auf die traditionelle Familie, die ja überhaupt, um als trautes Heim zu reüssieren, ihren Kindern Fernsehen, Laptops und Smartphones vorenthalten, sie also zu Außenseitern machen müsste. Wenn sie sich in die Universitäten Heidelberg oder Göttingen einschreiben würden, bräuchten sie dann auch kein Englisch, wie ihre KommilitonInnen, die über Austauschprogramme in Spanien, den USA oder Neuseeland studieren, und die sie vermutlich heftig beneiden würden. Dass diese Formulierungen im Grundsatzprogramm stehen, ist nicht weiter verwunderlich, da etwa 80 % der Mitglieder männlich sind. Verwunderlich ist allerdings, dass die beiden Frauen im Vorstand, Frauke Petry (promovierte Chemikerin) und Beatrix von Storch (Rechtsanwältin), ein Frauenbild vertreten, das nicht nur vollkommen out ist, sondern auch kaum geeignet, ihnen Wählerinnen-Stimmen einzubringen. Warum sollten die Frauen in Deutschland auf ihre mühsam erkämpften Rechte verzichten? In den familienpolitisch weitaus progressiveren skandinavischen Ländern ist die Berufstätigkeit beider Elternteile und die Betreuung der Kinder außer Haus die gut funktionierende Regel.

Aus dem Weg mit den Schwachen

Diese „Zurück-an-den-Herd“- Zumutung ist aber noch nicht die Klimax der von der AfD geplanten Restitution autoritärer Lebensformen. Im christlich-fundamentalistischen Weltbild galten harte Strafen als Garantie von Recht und Ordnung. Die deutsche Justiz hat sich sehr schwer damit getan, den Sühnegedanken im Strafrecht des 20. Jahrhunderts so abzumildern, dass Straftäter, vor allem jugendliche Delinquenten, eine Chance der Wiedereingliederung in die Gesellschaft behalten. Die ebenso repressive wie regressive Haltung der AfD kommt in den Ausführungen zur „Inneren Sicherheit und Justiz“ zum Zuge. Sie will zum Beispiel bei der Untersuchungshaft die Haftgründe abschaffen. (Ein Richter darf U‑Haft bisher nur bei Flucht‑, Verdunklungs- oder Wiederholungsgefahr anordnen). Sie fordert einen „sicherheitspolitischen Befreiungsschlag“, um die Exekutive zu stärken: Ausländerbehörden, Polizei und Strafverfolgung. Es geht ihr vor allem um schnellere Abschiebung, da vorausgesetzt wird, dass es hauptsächlich Ausländer sind, die Straftaten begehen. Eine andere von vornherein verdächtige Gruppe sind die Jugendlichen. Das Strafmündigkeitsalter soll auf zwölf Jahre gesenkt werden. Auf volljährige Täter soll das Erwachsenenstrafrecht angewendet werden. „Der Staat muss durch die konsequente Bestrafung schwerer Delikte Signale der Warnung und Prävention aussenden sowie den verloren gegangenen Respekt bei diesen jugendlichen Serientätern wiederherstellen“. Alkohol- und Drogenabhängige sowie psychisch Kranke, „von denen erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen“, gehören nach Ansicht der Autoren nicht in psychiatrische Behandlung, sondern in Sicherungsverwahrung. Ein Dorn im Auge ist ihnen weiter, dass die Daten von Straftätern genauso geschützt sind wie die jedes anderen Bürgers. Im übrigen soll Videoüberwachung möglichst flächendeckend eingeführt werden. Ein Maximum an Polizeistaat für die potentiell „Bösen“; nichts dergleichen für die „Guten“: „Ein strengeres Waffenrecht wäre ein weiterer Schritt in die Kriminalisierung unbescholtener Bürger und in den umfassenden Überwachungs- und Bevormundungsstaat“. Die Zweiteilung der Welt in „Gute“ und „Böse“ ist bekanntlich auch ein Relikt aus der christlich-fundamentalistischen Sphäre, wo Gerechtigkeit darin besteht, die einen zu bestrafen und die anderen zu belohnen.

Vollends heilsgeschichtlich oder total fiktional, je nachdem, in welche Richtung man blickt, ist die Konzeption der AfD vom Schicksal der Erde. „Das Klima wandelt sich, solange die Erde existiert“. Für sein Biotop trägt der Mensch keine Verantwortung, da waltet eine höhere Macht, die alles bestens eingerichtet hat: „Kohlendioxid (CO 2) ist kein Schadstoff, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil allen Lebens […] Je mehr es davon in der Atmosphäre gibt, umso kräftiger fällt das Pflanzenwachstum aus. Die hierzu geplante zwangsweise Senkung der CO2‐Emissionen um mehr als 85 Prozent würde den Wirtschaftsstandort schwächen und den Lebensstandard senken“. Hier bläst die AfD allerdings, und wohl nicht zufällig, ins Horn der Energieversorger, wenn sie verspricht, dass sie „alle Alleingänge Deutschlands zum Reduzieren der CO2 ‐Emissionen unterlassen“ und „Klimaschutz‐Organisationen […] nicht mehr unterstützen“ würde. Alternative Energieerzeugung wird pauschal abgelehnt.

Die AfD steht für eine Zukunftsvision der Zerstörung

Alles in allem ist die AfD keine Partei der Zukunft, denn ihr fehlt jede zündende Idee. Rückabwicklung ist kein politisches Programm, sondern ein Stör- und Zerstörungsversuch, der gesellschaftliche Energien lähmt, die zur Bewältigung der Umbrüche, die uns bevorstehen, dringend gebündelt werden müssten. Die auffällig breite Akzeptanz dürfte auf einer Reihe von Missverständnissen beruhen. Solange nicht klar ist, worauf das Ganze hinaus soll, kann jeder Unzufriedene sich von der AfD irgendwie vertreten fühlen. Die historische Retourkutsche der ausgebooteten Rechtskonservativen des Westens ist anders motiviert als die völkische Fata Morgana, mit der sich die Neu-Rechten des Ostens identifizieren wollen. Es ist ohnehin verwunderlich, dass die elitäre bürgerliche Kerntruppe die Nähe des Vulgären sucht und mit Pegida aufschließt. Die Logik ergibt sich auf einer anderen Ebene. Die Parole „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ ist mehr als ein Statement zur Asylpolitik. Sie ist auch mehr als ein taktisch berechneter gemeinsamer Nenner für die unterschiedlichen Interessen der Mitglieder. Sondern: Sie ist die Quintessenz einer geplanten Barbarei. Wie abwiegelnd auch immer mit „politischen Islam“ etc. argumentiert wird, gemeint ist: Muslime gehören nicht nach Deutschland. Fremde haben hier nichts zu suchen. Es sei denn, sie geben ihre Sprache, ihre Kultur und ihre Lebensgewohnheiten auf und verwandeln sich in Schnittmuster-Deutsche, denn in Deutschland darf es nur Deutsche geben.

Hier schließt sich der Kreis. Hier hört die AfD auf, eine Partei von Rechtskonservativen zu sein, denen man ihre Denkfehler eventuell noch ausreden kann. Petrys Äußerung, dass Polizisten an der Grenze „notfalls“ auf Flüchtlinge schließen dürften, war kein Versehen. Was westliche Rechtskonservative und östliche Neue Rechte verbindet, ist die Philosophie Carl Schmitts. Der Staatsrechtler schrieb 1926, Demokratie könne nur als Diktatur des Volkes funktionieren, das seinen Willen den Regierenden symbiotisch kommuniziert. Die Voraussetzung für diese „Identität des Volkes mit seiner Repräsentation im Parlament“5 sei Gleichheit, die durch Ausgrenzung des Ungleichen hergestellt werde. Schmitts Gleichheitsbegriff ist das Gegenteil von dem, was wir unter Menschenrechten verstehen, denn er ist der Meinung, dass in einer Demokratie ein Teil der Bevölkerung ungleich behandelt und ausgegrenzt werden müsse, damit die Verschmelzung von Regierten und Regierenden gelingt. Vernichtung des Heterogenen sei das Mittel, Homogenität zu erlangen, denn dadurch werde „die innere Festigkeit und der Zusammenhalt in einer Gruppe gestärkt“.6 Als Beispiele nennt Schmitt „die radikale Aussiedlung der Griechen im Zuge der Türkisierung der Türkei und die strikte Einwanderungsgesetzgebung in Australien, die nur den ‚right type of settler‘ ins Land lasse“.7

Mit seinen Thesen hat Carl Schmitt Hitler zugearbeitet und die Vernichtung der Juden im voraus legitimiert. Es läuft einem kalt über den Rücken, wenn man diese Denkmuster in der Selbstdarstellung der AfD entdeckt. Die Verachtung für die parlamentarische Demokratie und das humanitäre Gleichheitsprinzip der Menschenrechte, die sich aus dem Leitantrag erschließt, sind Hinweise. Definitiv entlarvend ist der Aufruf zur Ausgrenzung der Muslime. Die Parteiführung weiß durchaus, woran sie anknüpft. Wenn Alexander Gauland feststellt, die Flüchtlingskrise komme der AfD zupass, dann spricht er aus der Perspektive Carl Schmitts: Nichts eignet sich besser, völkisch-nationalistische Homogenität herzustellen, als ein Bedrohungszenario durch Fremde. Frauke Petri hätte vermutlich gern im Münchner Hofbräukeller gesprochen, weil die damit verbundenen Assoziationen ihrem Auftreten eine verschwörerische Bedeutung verliehen hätten. Mit der Parole „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ versucht die Partei, auf Kosten großer, längst integrierter Bevölkerungsteile und zum Nachteil der Geflüchteten, die unsere Hilfe brauchen, im Trüben zu fischen. Indem sie das Narrativ einer Gesellschaft, die sich in technikfreien Landschaften der Globalisierung entzieht und ihre musealen Kulturgüter pflegt, als Fassade benutzt, täuscht die AfD darüber hinweg, dass sie beabsichtigt, den Weg für eine neue Barbarei frei zu machen. Die Vorstellung eines in tiefer Übereinstimmung mit einem Führer vibrierenden Volkskörpers ruft nicht nur die Massenhysterie im Berliner Sportpalast vor Augen, sondern auch die ihr Gepäck schleppenden, auf ihren Abtransport wartenden Juden. Ausgrenzung trägt immer den Keim des Genocids in sich. Auch damals war Diskriminierung der Anfang, es folgten Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Entzug der Rechte und Pauperisierung, bis niemand mehr übersehen konnte, dass es Deutsche und Nichtdeutsche gab. Diese Nachahmung ist, auch in einem insgesamt wirklichkeitsfremden Projekt, einfach schändlich. Wenn die AfD auch nur einen Funken Respekt vor dem Land, der Kultur und der Geschichte, deren Teil sie ist, besäße, würde sie nicht ausgerechnet das wiederholen wollen, was Deutschland in Schande gestürzt hat. Man darf ihr keinen Millimeter entgegen kommen.